Die Forderung des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) nach einer schnellen Veränderung des klassischen Notensystems wird lauter, nachdem in Hamburg Abiturienten angeblich mit Hilfe von ChatGPT betrogen haben sollen. Die Frage nach dem Einfluss künstlicher Intelligenz (KI) im schulischen Alltag und der Rolle von Noten zur Leistungsbeurteilung spaltet die Meinungen stark. Von einer Anpassung des Notensystems bis hin zur Abkehr von der herkömmlichen Benotung reichen die Vorschläge. BILD hat Politiker und Experten befragt, um zu klären, welche Aspekte des alten Noten- und Lernsystems unbedingt beibehalten werden sollten und welche überdacht oder ersetzt werden müssen.
Simone Fleischmann, Präsidentin des BLLV, betont gegenüber BILD: “Die KI wartet nicht darauf, dass wir krisenfest und innovationsbereit sind oder dass der Lehrermangel in Deutschland behoben ist. Wir dürfen diesen Wandel in Bezug auf eine veränderte Leistungskultur keinesfalls verschlafen.” Fleischmann schlägt vor, dass Noten nicht nur für das Auswendiglernen vergeben werden sollten, sondern den Lernprozess an sich bewerten sollten, unabhängig davon, ob die Schüler den Stoff alleine oder mit Hilfe künstlicher Intelligenz erarbeitet haben. Der Lern- und Leistungsbegriff müsse rasch aufgebrochen und professionell weiterentwickelt werden. Fleischmann unterstreicht, dass das Schulsystem sich schnell anpassen müsse.
Es sei wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler am Ende verstehen, worum es geht und dass sie kompetent und kritisch mit neuen Medien umgehen können, so Fleischmann. Thomas Jarzombek (50, CDU), Bildungssprecher der Unions-Bundestagsfraktion, hält am Notensystem als Leistungsindikator fest, ist jedoch der Meinung, dass der Weg dorthin geändert werden sollte. “Digitale Lernsysteme können heute sehr präzise jeden Tag erfassen, wo die Stärken und Schwächen der Kinder liegen. Das muss genutzt werden, um gezielt Defizite aufzuarbeiten und zu wiederholen”, erklärt Jarzombek. Gleichzeitig sollten die Ergebnisse dieser individuellen Lernbegleitung auch in die Benotung einfließen.
Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, ist der Ansicht, dass eine Neubewertung und -justierung der zu Hause angefertigten Arbeiten, wie Hausaufgaben, Referate und Teamprojekte, erfolgen müsse. Lehrkräfte sollten verstärkt überprüfen, ob die Arbeitsergebnisse auch tatsächlich verstanden wurden. Meidinger betont, dass mehr kritische Nachfragen gestellt und der vorangegangene Arbeitsprozess besser begleitet werden sollten. Zudem seien Schulen bei Prüfungen, bei denen keine KI genutzt werden darf, verstärkt gefordert, Schummeleien und Manipulationsversuche zu unterbinden.